Potsdam und Kreuzberg

Es ist 8 Uhr, ich fühle mich ausgeschlafen. Ich drehe mich trotzdem noch mal auf die Seite, liege unter dem Fenster, hebe den Vorhang hoch und schaue in die dunklen Wolken. Die Dusche ist besetzt, ich höre das Prasseln durch die dünne Wand. Ich wasche mich am Waschbecken und ziehe ein frisches T-Shirt an. Frühstück Raum 5, Privatgast. Eine blonde Frau sagt mir, dass ich mir die Sachen in der Küche holen muss. Tee oder Kaffee? Eine halbe Kanne Kaffee von der Frau mit der weißen Mütze, der Aufschnitt und die Butter stehen fertig im Kühlschrank. Für eine Person. Das Mädchen mit dem lila Haar fragt nach dem Toast, ich bin fertig, schnalle mir meine Tasche um, der Mann im weißen Kittel nimmt meine Schlüssel. Freigang aus dem Irrenhaus.

Es regnet. Heute will ich S-Bahn fahren, umsteigen Bahnhof Zoo, alles ist leer, Sonntagmorgen 9 Uhr. Ich habe mit meiner Fahrkarte 2 Stunden Zeit bis Potsdam zu fahren, will unterwegs aussteigen und Bahnhöfe fotografieren, aber die gefallen mir alle nicht und beschließe auf der Rückfahrt eine andere Linie zu nehmen. Wannsee, könnte interessant sein. Unten am See steigt eine Rentnergruppe ins Boot, sonst kein Mensch unterwegs, Erbsensuppe 3,80 DM. Bald kommt der nächste Zug, Babelsberg. Ich stehe auf dem Bahnsteig, sie S-Bahn versperrt mir den Blick auf die Ruinen, in der Zeit mache ich ein Bild von der Bahnhofsvorsteherin, bitte zurücktreten.

Bahnhof Babelsberg

Bahnhof Babelsberg

10 Minuten bis zum nächsten Zug. Das muss für Babelsberg reichen. Die Bahnhofshalle ist ein Bruchhaufen, von den Säulen bröckelt es, ist schwer aufs Bild zu bringen.

Bahnhof Babelsberg

Bahnhof Babelsberg

In Babelsberg regnet es, große Haufen Hundekot liegen auf der Straße, ich bin in die falsche Richtung gelaufen, aber Babelsberg interessiert mich auch nicht mehr. Meine S-Bahn kommt, in Potsdam ist nichts, nur ein flacher Kiosk und im Hintergrund Hochhäuser aus den üblichen Betonplatten. Ich habe Hunger, kaufe Süßigkeiten, dafür fährt mir der Bus nach Sanssoucis vor der Nase weg, mein Ticket läuft bald ab und reicht nicht mehr für den nächsten Bus, ich laufe ein Stück, fahre Straßenbahn ins Zentrum, oder so etwas ähnliches wie das Zentrum, das zentrale Grau, die Straßen alle aufgerissen, in der Kirche ist die Messe gerade zu Ende.

Potsdam

Potsdam

Gegenüber liegt die Fußgängerzone, schon etwas hergerichtet, es ist nass und leer, das Bild das sich bietet ist schwer festzuhalten, passt nicht aufs Bild. An die Straße schließt sich der Park an, ein vergoldeter Zaun, links und rechts kleine Tore geöffnet, ein grüner Wächter spricht mit der Frau am Kiosk, man kann den alten Fritz und Bismarck aus Porzellan kaufen. Rechts müsste es nach Sanssoucis gehen, es regnet, alles ist grün, eine Kirche, romanisch-antik, die Säulen faszinieren mich, ein Chor wird fotografiert und singt dazu, „ob er aber über Oberammergau…“.

Der Pfarrer läuft an mir vorbei, mit Regenschirm und Baskenmütze, ich bin von seinem Anblick so fasziniert, dass ich vergesse ihn zu fragen, ob ich ihn fotografieren darf. Als ich mich gesammelt habe trifft er jemanden und klappt den Schirm zu. Ein Springbrunnen, endlich stehe ich da wo ich schon seit Jahren hin will, vor mir die Weinberge und oben das Schloss, ich fotografiere Statuen. Fotos von Sanssoucis darf man leider nicht ins Internet stellen. Ich steige langsam die Treppe hinauf, von oben sieht man auf den Park und die Plattenbauten im Hintergrund.

Ins Schloss darf man nur mit Führer, jetzt machen die Mittagspause und die nächste Führung ist um 14.30 Uhr, so viel Zeit gebe ich mir nicht, suche die Orangerie, vorbei an der Mühle, dann kommt ein großer Parkplatz, die Busse ergießen sich, die Toiletten sind privat, 1 Mark fürs Pinkeln. „Mein Mann kann so schlecht laufen, bis hier sind wir ja gefahren…“, das kommt mir bekannt vor. „Ja das da hinten ist Sanssoucis.“ „Wissen sie vielleicht wo die Orangerie ist?“ Klassizismus, Säulen, Statuen, endlich was zu fotografieren, besser als in Rom. Die Galerie wird um 1 Uhr geöffnet, erst mal setzen und genießen. Es regnet, die letzten 10 Minuten muss ich vor dem Eingang stehen. Pantoffel an, irgendein König muss auch hier gewohnt haben. Ich stoße auf ein Bild von Raffael das ich irgendwoher kenne, ich bin ganz erstaunt, dass es hier hängt, aber es ist eine Kopie. Alle Bilder hier sind Kopien, der Wachmann gibt mir die Beschreibungen.

Mir wird schnell langweilig, ich steige auf den Turm, ganz oben lebt die DDR weiter, ein grüner Stuhl, eine Gardine, eine Thermoskanne und ein Radio.

Orangerie

Orangerie

Mein Objektiv reicht nicht aus um diesen Muff festzuhalten. Der Wachmann erzählt seine Witze die er jedem erzählt der sie hören will, zum Glück nicht mir. Immer wieder stören die Plattenbauten im Hintergrund das Bild. Ich finde die aufgestellten Ruinen nicht, das Palais ist zu breit fürs Normalobjektiv. Rechts vom Hauptweg geht es durch den Landschaftspark. Es ist weit, ich kann nicht mehr, auf dem Parkplatz esse ich noch eine Wurst, dann nehme ich den Bus in die Stadt. Der Busfahrer hat keine 24-Stunden-Tickets, so habe ich wieder nur 2 Stunden Zeit in die Stadt zurück zu kommen. Die Bahnhöfe auf der S-Bahnstrecke sind auch nicht fotogener, ich habe gar keine Lust auszusteigen und bleibe bis zum Anhalter Bahnhof sitzen. Ich kann ihn nicht finden, dann fällt mir ein: das letzte Mal war ich hier mit 16, da war hier gar nichts, jetzt ist es das Verteilerzentrum für die Baustelle am Potsdamer Platz.

Eigentlich will ich nach Kreuzberg. Der im Reiseführer beschriebene Spaziergang soll am Kottbusser Tor anfangen. Ich müsste über Gleisdreieck fahren, aber vom Anhalter Bahnhof aus fahren nur S-Bahnen. Auf dem Weg zum Potsdamer Platz suche ich den Gropius-Bau. Da drüben war Osten, hier Westen, der Polizist der das Abgeordnetenhaus bewacht hilft mir weiter. Gropius hat den Schinkelbau damals nur renoviert und nicht gebaut. Es steht noch ein Stück Mauer da, ich möchte eine Ausstellung besuchen aber im Gropius-Bau sind nur Ausstellungen die mich nicht interessieren. Auf dem Weg zur U-Bahn beginnt es zu regnen, es dauert etwas bis ich den Bahnhof mitten in der Baustelle gefunden habe.

Anhalter Bahnhof

Anhalter Bahnhof

Ich habe Angst. Im Reiseführer stand zwar was von schrägen Typen, aber dieses Publikum habe ich nicht erwartet. Ich nicke dem Mann zu der in der Tür steht, er geht hinter den Tresen, legt ein zähes Hähnchen und Salat auf meinen Teller, ob ich Reporter bin will er wissen, ich habe Angst um meine Kamera.

Kottbusser Tor

Kottbusser Tor

Ich schlucke das Hähnchen runter ohne zu kauen, überlege mir was ich machen würde, wenn jemand meine Kamera haben will, die Szene beunruhigt mich, ich folge dem Weg im Reiseführer und frage mich, was der Autor hier zeigen wollte. Die Straßen sind leer, kein bisschen Flair, ich langweile mich.

Kreuzberg

Kreuzberg

Am Landwehrkanal wird es ein wenig interessanter, auf der Brücke schaut jemand wieder so verdächtig auf meine Kamera, jetzt komme ich langsam ins bessere Kreuzberg. Die Fassaden sind renoviert, die Leute auf der Straße sehen nach Lehrer aus, es gibt fast nichts zu knipsen. So langsam kann ich nicht mehr, schaffe es nicht mehr auf den Kreuzberg rauf und bin froh die Hochbahn zu erreichen.

Hochbahn

Hochbahn

Haben sie einen Fernseher? In Raum 101. Ein Junge führt mich hin, ich will erst mal meine Tasche wegbringen, die Toilette ist besetzt. Haben sie was zu trinken? Warsteiner aus der Flasche, die Jungs sitzen schon mit dem Gesicht zum Fernseher, ich setze mich ganz nach vorn, der Clubraum des Hostels wird voll mit kleinen Jungs und pubertierenden Mädchen auf Klassenfahrt. Die erste Halbzeit ist spannend, es fällt kein Tor, dann unberechtigt 11 Meter, jetzt wird es richtig spannend, sie strengen sich an und wieder schnelle Konter der Tschechen, aber die Abwehr schafft es bis zum Ausgleich. Verlängerung. Noch in der ersten Hälfte fällt das golden Goal, die Queen verteilt Medaillen und den Pokal, Kohl küsst Berti, ich will raus, sehen was los ist. Um 12 Uhr muss ich zurück sein, dann wird die Tür abgeschlossen. Die ersten Leute begegnen mir schon in der U-Bahn, Deutschlandrufe, auf dem Kuhdamm gehen Kracher und Raketen hoch, die Deutschlandfahne, viele stehen herum und schauen zu. Autohupen unter dem Bahnhof Zoo.

„Sie müssen Friedrichstraße umsteigen“, die S-Bahn braucht lange, die Anschlüsse sind schlecht, es regnet unter den Linden und am Brandenburger Tor steht nur ein Grüppchen im Regen, keine gute Idee herzukommen. Noch einmal Kuhdamm, in der U-Bahn wird es eng, ich komme genau um 12 Uhr wieder am Hotel an.

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