Heute ist es leider bedeckt aber wenigstens regnet es nicht. Als ich der Dame an der Rezeption erzähle, dass ich heute vom Faulhorn zur Schynige Platte wandern will schüttelt sie nur mit dem Kopf. Die Gipfel seien heute alle im Nebel. Ich solle lieber einen schönen Weg auf halber Höhe gehen und den Ausblick genießen. Aber dafür bin ich nicht gekommen. Ich bin ein unbelehrbarer Tourist wie alle anderen und will ins Hochgebirge. Egal bei welchem Wetter.
Ich laufe zur Seilbahnstation Grindelwald BGF und kaufe mir eine Dreitageskarte für alle Bahnen und Züge in Grindelwald. Die Gondel bringt mich von dort hoch hinauf bis zur Station First. Das Wetter ist noch einigermaßen gut, man hat einen tollen Blick auf das Tal und die gegenüberliegenden Berge und ich triumphiere innerlich über die Campingplatzbesitzerin.
Es sind nicht viele Gäste mit mir hinaufgefahren. Die wenigen Wanderer verlieren sich schnell am Berg und beim Aufstieg trennt sich die Spreu vom Weizen. Überall liegt noch Schnee. Damit habe ich jetzt im Juli nicht gerechnet.
Die Luft ist schon recht dünn und oben am Bachalpsee muss ich die erste Pause einlegen. Die beeindruckenden Viertausender auf der anderen Seite des Tales sind noch gut zu sehen.
Doch nach einem weiteren Anstieg zieht es sich plötzlich zu. Ich bin mitten in einer Wolke.
Eben konnte man die Hütte auf dem Faulhorn noch sehen, jetzt ist alles grau. Ich überlege, ob ich den Steilen Weg überhaupt hinauf gehen soll wenn man von dort oben eh nichts sehen kann. Aber mir ist kalt und ich brauche einen Kaffee. Und es lohnt sich. Oben angekommen reißen die Wolken auf und wieder bleibt mir beim Ausblick fast der Atem stehen.
Es ist herrlich warm in der Hütte, aber ich kann nicht lange bleiben. Die ganze Wanderung ist auf 6 Stunden angesetzt und irgendwann fahren keine Züge mehr von der Schynige Platte. Ich steige wieder ab und schaue zurück auf den imposanten Gipfel.
Der Weg führt jetzt über den Grat und die wärmere Luft aus dem Süden kondensiert auf der Nordseite sofort zu Wolken.
Ich erreiche ein Schneefeld das überquert werden muss. Es ist zwar ein Pfad hineingetrampelt, aber der Schnee ist nass und glitschig. Das Profil meiner Wanderschuhe ist recht abgelaufen und ich beneide die anderen Wanderer, die mit Wanderstöcken ausgerüstet sind und sich abstützen können. Über dem Schnee bildet sich später wieder Nebel.
Der Weg windet sich in einer großen Schleife hinunter zur Männdlenen Hütte. Ich blicke hinauf, dorthin wo ich eben gewandert bin. Hätte ich vorhin die steile Felswand unter dem Schneefeld realisiert, hätte ich es bestimmt nicht überquert und wäre umgedreht.
Es ist inzwischen Mittag, ich bin drei Stunden gewandert und sehr hungrig und durchgefroren. Zum Glück gibt es in der Hütte eine warme Suppe. Beim Gespräch mit der Hüttenwirtin über die Wetterverhältnisse hier oben wird mir bewusst wie leichtsinnig es war heute hier zu wandern. Ich habe viel zu wenig Proviant mit, bin zu dünn angezogen, habe keine Stöcke dabei und das Profil der Schuhe ist abgelaufen. Wenn was passiert kann man nur mit dem Helikopter abgeborgen werden, und dafür habe ich keine Versicherung abgeschlossen. Abgesehen davon könnte ich im Notfall die Bergwacht gar nicht alarmieren, da es hier oben keinen Handyempfang gibt. Und als Alleinwanderer kann man dann auch niemanden losschicken Hilfe holen. Über Leute wie mich hätte ich zuhause nur den Kopf geschüttelt.
Inzwischen ist die Sicht wieder besser geworden. Um mich herum ist es auch wieder grüner, ab und zu steht da auch schon wieder ein Baum. Links vom mir reißen auch immer wieder die Wolken auf und geben den Blick auf Eiger, Mönch und Jungfrau frei. Irgendwann kann ich die Bahnstation Schynige Platte in der Ferne sehen, aber es ist noch ein weiter Weg.
Nach einiger Zeit führt der Weg wieder auf die andere Seite des Berges und ich kann hinunter nach Interlaken sehen, das zwischen dem Brienezer und dem Thuner See liegt.
Endlich ist nach etwas über 6 Stunden Wanderung die Bahnstation Schynigge Platte erreicht.
Ich muss noch etwas warten bis der Zug fährt und genieße die wunderbare Aussicht.
Erschöpft sitze ich im Zug der sich langsam den Berg hinunter bewegt. Die Luft wird wieder sauerstoffhaltiger und um mich herum schlafen die Fahrgäste ein. Unten in Wilderswil muss ich umsteigen in den Zug nach Grindelwald und komme nach fast einer Stunde erschöpft, aber erfüllt wieder an meinem Zelt an.